„Esst Kranewitt und Bibernell, packt euch der Tisel nit so schnell!“

Mit diesen Worten soll eine Wacholderdrossel den Menschen zu den richtigen Heilkräutern geraten haben, als in Europa die Pest wütete. „Kranewitt“ ist dabei eine volkstümliche Bezeichnung des gemeinen Wacholders, auch Heide-Wacholder genannt. Weitere Trivialnamen sind Krammetsbaum, Machandelbaum, Reckholder, Weckholder oder auch Holler. In manchen Regionen ist mit „Holler“ jedoch der schwarze Holunder (Sambucus nigra) gemeint, was zeigt, dass man die regionalen Bezeichnungen von Heilpflanzen bei einer Anwendung immer hinterfragen sollte.

Auch in der Mythologie und in Märchen begegnet uns der Wacholder. Bei den keltischen und slawischen Völkern galt die immergrüne Konifere als heiliger Baum der Schutz und Heilung brachte. Wacholderholz zu schlagen konnte Unglück und Krankheit über einen bringen. Vor dem Wacholderstrauch zog man, ebenso wie vor dem Holunder, den Hut, wenn man vorbeiging. Im Wacholder wohnten die „holden Wesen“, Geister die man um Beistand bitten konnte. Manchmal verdeckte ein Wacholderbusch den Eingang zur Welt der Zwerge oder der Riesen, oder es lag ein unterirdischer Schatz zu seinen Wurzeln. Auch als Räucherkraut und zur Abwehr von Dämonen und Teufeln wurde der Wacholder genutzt. So heißt es in einer weiteren Volksweisheit: „Eichenlaub und Kranewitt, das mag der Teufel nit“.

Im bekannten Märchen „von dem Machandelbaum“ erzählen die Gebrüder Grimm eine spannende Geschichte von der lebenspendenden Kraft des Wacholders, wie er bei großem Unrecht eine fromme Seele beschützt und sogar zur Rückkehr aus dem Totenreich verhilft.  Schon in der Antike galt der Wacholder als Symbol für Unsterblichkeit und Wiedergeburt. Diese Symbolik ist so stark mit dem Wacholder verbunden, dass sie später auch in der christlichen Mythologie Einzug nahm. So heißt es in einer christlichen Legende, dass das Kreuz Christi auch Wacholderholz enthielt, weshalb heute noch auf den Früchten des Wacholders ein weißes Kreuz zu sehen ist.   

Diese dunkelblauen Beeren des Wacholders sind uns weitgehend aus der Küche bekannt, wo sie als Gewürz bei schwer verdaulichen Speisen und zur Unterstützung der Verdauung verwendet werden. Botanisch gesehen handelt es sich hier allerdings nicht um Beeren, sondern um Zapfen. Diese benötigen im Schnitt zwei Jahre um an den weiblichen Pflanzen zu reifen. Die zapfenartigen Blütenstände der männlichen Pflanzen sind wesentlich kleiner und setzen gelbe Pollen frei, die vom Wind verbreitet werden. Anders als bei anderen Koniferen öffnen sich die Zapfen nicht um ihre Samen freizusetzen. Die Samenverbreitung wird von Vögeln übernommen, wie etwa der Wacholderdrossel, welche die beerenartigen Zapfen fressen und über ihren Kot verteilen.

Die rund 50 verschiedenen Wacholderarten sind hauptsächlich in der nördlichen Hemisphäre verbreitet. Den gewöhnlichen Heide-Wacholder findet man überwiegend in Europa, in nördlicher Lage oder im Gebirge. Im Himalaja wurden Wacholderbüsche bis auf eine Höhe von 5100 Metern nachgewiesen. Im Tiefland kann der gewöhnliche Wacholder zu einem 15 Meter hohen Baum heranwachsen. Das bisher höchste Exemplar wurde in Schweden mit einer Wuchshöhe von über 17 Metern dokumentiert. Im Gebirge und im hohen Norden ist aufgrund der rauen Wetterbedingungen jedoch meistens ein strauchartiger Wuchs zu finden. Durch sein langsames Wachstum erreichen die Wacholderarten mein ein hohes Alter von mehreren hundert bis zu tausend Jahren. Neben dem Heide-Wacholder zählen der Felsgebirgswacholder (Juniperus scopulorum) oder der chinesische Wacholder (Juniperus chinensis) zu weiteren bekannten Arten.   

Der Wacholder zählt zu den traditionellen pflanzlichen Arzneimitteln. Als Arzneipflanze werden die reifen Beerenzapfen sowie das Wacholderöl verwendet. Zu den traditionellen Anwendungen gehören die innerliche Anwendung als Diuretikum zur Durchspülung der Harnwege sowie bei Blähungen und dyspeptischen Beschwerden. Äußerlich wird er bei Muskel und Gelenksbeschwerden verwendet.

Die reifen Wacholderbeeren (Juniperi palbulus „pseudofructus“) enthalten neben bis zu 2% ätherischem Öl auch Gerbstoffe, Flavonoide, Diterpene und Zucker. Die Zusammensetzung des ätherischen Öls ist unter anderem abhängig vom Standort der Pflanze, den Wetterbedingungen bei der Reife und dem Reifegrad der Früchte. Die innere Anwendung der Früchte als Diuretikum bei verschiedenen Harnwegsbeschwerden sowie bei dyspeptischen Beschwerden und bei Appetitlosigkeit und Blähungen ist von Expertenkommissionen wie dem HMPC oder der ESCOP wissenschaftlich belegt. Äußerlich wird das Wacholderöl in Salben, Cremen oder auch als Umschlag oder in Bädern bei Muskel- und Gelenksbeschwerden sowie bei rheumatischen Beschwerden verwendet.

Die volksmedizinische Anwendung ist, wie so oft, weit umfangreicher. Neben den bereits genannten Anwendungsbereichen wird Wacholder und seine Zubereitungen zur Linderung von Erkältungskrankheiten, Kopfschmerzen, Gicht, Arthrose, rheumatischen Erkrankungen, bei verschiedenen Hautleiden, als Stärkungsmittel, zur Blutreinigung, Magen- Darmstörungen, Menstruationsbeschwerden und gegen Bakterien und Pilze angewendet. Hier ist jedoch zu beachten, dass es bei empfindlichen Personen oder einer längeren Anwendung zu Nebenwirkungen wie Nierenreizungen kommen kann. Bei einer äußerlichen Anwendung kann es ebenso zu Hautreizungen kommen, weshalb man vor einer Anwendung immer einen Verträglichkeitstest am Handrücken oder in der Armbeuge machen sollte. Das ätherische Öl kann bei höherer Dosierung zu Atemreizungen führen und sollte nicht bei Kleinkindern angewendet werden.

Von einer Anwendung des Wacholders in der Schwangerschaft wird generell abgeraten. Das enthaltene ätherische Öl kann die Gebärmutter stimulieren und vorzeitige Wehen auslösen, was zu einem erhöhten Risiko von Fehlgeburten führen kann. Auch der botanische Name „Juniperus“ gibt Hinweis auf diese Wirkung. Diese schon bei den Römern gebräuchliche Bezeichnung ist vermutlich abgeleitet von juvenis“ (jung) und „parus“ (gebärend) also im Sinne von „iuveni-paros“ (zu früh gebärend), und könnte auf die abtreibende Wirkung der Beerenzapfen verschiedener Wacholderarten hinweisen.

Volksmedizinisch wurde früher ebenso das Wacholderholz verwendet. Hierzu liegt allerdings kein wissenschaftlicher Wirkungsnachweis von Expertenkommissionen vor. Eine Abkochung von feingeschnittenem Wacholderholz wurde als Tee bei Harnwegsbeschwerden und als Blutreinigungsmittel verwendet. Als Umschlag oder Bad wurde Wacholderholz zur Wundheilung, bei Hautleiden sowie bei rheumatischen Beschwerden und Gicht eingesetzt. Die Verwendung als Räucherstoff hatte ebenso volksmedizinischen wie auch rituellen Nutzen, und hat sich bis in die heutige Zeit gehalten.

Bei Wildsammlung ist darauf zu achten, dass Wacholderholz in einigen Regionen geschützt ist, und nicht geschlagen werden darf. In Österreich ist der Schutzstatus von Pflanzen jeweils durch die Landesregierung geregelt und kann aktuell auch online eingesehen werden. In den alpenländischen Naturparks ist das Sammeln von Wildpflanzen generell untersagt. Wer das Glück hat bei seiner Wanderung auf reife Beeren zu treffen, sollte unbedingt ein oder zwei Stück frisch und roh verkosten. Der Geschmack ist nicht mit getrockneten Beeren aus dem Handel zu vergleichen. Beim Sammeln wird man allerdings rasch feststellen, dass die Pflanze über sehr spitze Stacheln verfügt. Diese Wehrhaftigkeit der Pflanze kann man natürlich auch als Aufruf zur Achtsamkeit im Umgang mit der Natur sehen. Da man ohnehin meist nur sehr kleine Mengen für den Eigenbedarf benötigt, wird man so gleich daran erinnert nur so viel zu nehmen wie man wirklich braucht. Auf diese Weise bleibt noch genug für die Wacholderdrosseln, welche so nicht nur ihren eigenen Hunger stillen, sondern auch gleichzeitig wieder für die Verbreitung und damit die Arterhaltung des Wacholders sorgen. In der Natur bleibt ohnehin nichts verschwendet und alle Kreise schließen sich. Wir Menschen haben die freie Wahl uns in diese Reigen einzufügen.

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