Ich erinnere mich an einen Tag im Frühling, es muss wohl schon im Mai gewesen sein. Ich war noch ein kleines Kind und wanderte mit meiner Großmutter durch den Garten. An der westlichen Hauswand auf dem Weg zum rosenumrankten Gartentor wucherte üppig das Vergissmeinnicht. Ich weiß noch wie heute, wie
sich meine Großmutter über die zarten blauen Blüten freute. Sie nannte mir den Namen der Pflanze, und erzählte mir, dass ihre Großmutter diese auch schon immer gepflanzt hatte. Bei dem Anblick der kleinen blauen Blüten müsse sie immer an ihre eigene Kindheit und an ihre Großmutter denken. Deshalb habe auch sie das Vergissmeinnicht im Garten gepflanzt, um die Erinnerung an damals lebendig zu erhalten. Sie schwieg einen Moment, oder auch länger, und wir betrachteten die kleinen blauen Blüten. Ich glaube, dass muss das erste Mal gewesen sein, dass ich mir meine Großmutter als junges Mädchen vorstellte, und sie nach meiner Ururgroßmutter fragte, die ich selbst ja nie kennengelernt hatte.
Sie erzählte mir von ihr, und dass sie sie sehr gerne gehabt hatte. Dann sah sie mich mit einem, für mich damals undefinierbaren Blick an und sagte: „Vergissmeinnicht muss man immer im Garten haben. Gell? Wenn ich einmal gestorben bin, dann denkst du hin und wieder an mich und zündest mir eine Kerze an.“ Dieser Gedanke berührte mich tief, denn meine Großmutter würde doch immer bei mir bleiben. Aber ich gab ihr natürlich mein Versprechen, und habe es bis heute gehalten. So blühen die kleinen zarten Blüten nun auch in meinem Garten und erinnern mich an diesen Tag. Ja sogar noch tiefer gehen die Erinnerungen, an meine Ururgroßmutter, und das wenige das ich von ihr erfahren habe, weiter spinnen die Gedanken ob auch sie die Blümchen von ihrer Großmutter weitergetragen hat. Und ganz unmerklich befindet man sich in einer gedanklichen Zeitkapsel, an einem Ort außerhalb des alltäglichen Zeitgefüges, aber voller kleiner blauer Blüten.
Das Vergissmeinnicht trägt seinen Namen nicht grundlos. In der Pflanzensymbolik ist das Vergissmeinnicht ein Symbol für zärtliche Erinnerungen, aber auch für die Liebe und für Abschiede. Diese Vorstellung ist so weitreichend, dass die Pflanze weltweit in zahlreichen Sprachen einen Namen mit gleicher Bedeutung trägt. Zahlreiche Legenden ranken sich um das kleine blaue Blümlein, welche mit seiner Namensgebung in Verbindung stehen. Im Volksglauben heißt es auch, dass die Blüten an die Augen jung verliebter Paare erinnern, weshalb sie als Liebesbeweis verschenkt wurden.
Nach einer persischen Legende verliebte sich ein Engel in eine Sterbliche. Zur Strafe wurde er deshalb aus dem Paradies vertreiben und musste in die Welt ausziehen um das Vergissmeinnicht in alle vier Himmelsrichtungen zu verbreiten. Als er seine Aufgabe erfüllt hatte, wurde seine Geliebte unsterblich und er durfte mit ihr zusammen ins Paradies zurückkehren. Tatsächlich ist die zarte blaue Blume in fast allen Regionen der Erde vertreten. Ihre Pollenkörner mit einem Durchmesser von nur 0,003 mm zählen zu den kleinsten der einheimischen Flora.
Volksmedizinisch wird das Vergissmeinnicht nur wenig verwendet. Als Raublattgewächs ist es mit dem Lungenkraut oder dem Beinwell verwandt. Ihm werden eine tonisierende, entzündungshemmende und sedative Wirkung zugeschrieben. Verwendet werden hierbei verschiedene Arten wie das Sumpfvergissmeinnicht (Myosotis palustris L.) oder auch das Ackervergissmeinnicht (Myosotis arvensis) Zu den angegebenen Heilindikationen zählen die Verwendung als Umschlag oder Waschung bei Hautentzündungen, Quetschungen, Augenleiden, aber auch als Tee bei Erkältungskrankheiten und Verdauungsbeschwerden sowie zur allgemeinen Stärkung. Durch die Bezeichnung „Vergissmeinnicht“ werden der Pflanze auch gedächtnisverbessernde Eigenschaften zugesprochen. Keine dieser Anwendungen ist jedoch wissenschaftlich belegt.
Als homöopathische Zubereitung findet das Vergissmeinnicht auch als Wirkstoff gegen Lymphknotenschwellung Anwendung. Zu den wichtigsten Inhaltsstoffen der Pflanze zählen Kalium, Gerbstoffe und curare-ähnliche Alkaloide. Diese sind jedoch in sehr geringen Mengen enthalten, weshalb sie keine giftige Wirkung entfalten. Eine genauere Untersuchung der enthaltenen Wirkstoffe ist derzeit noch ausständig. Doch zeigten erste klinische Studien im Tiermodel interessante Ergebnisse. In einem Experiment mit einer wässrigen Lösung von Myosotis arvensis (Ackervergissmeinnicht) zeigte sich, bei einer täglichen Verabreichung, eine signifikante anxiolytische, also angstlösende, Wirkung. Bei einer Erhöhung der Dosis zeigte sich sowohl eine anxiolytische wie auch antidepressive Wirksamkeit. Gleichzeitig wurden im Vergleich zu herkömmlichen Benzodiazepinen weder die exploratorischen noch die motorischen Fähigkeiten gehemmt.
In unserem Gedächtnis und unseren Herzen hat das unscheinbare blaue Blümchen schon lange einen festen Platz eingenommen. Zu zahlreichen Geschichten und Sinnbildern hat es uns inspiriert und erfreut jeden Frühling unser Auge und trägt Leichtigkeit in unsere Herzen. Möglicherweise könnte es in Zukunft auch für unsere Heilkunde von neuem Interesse werden. Erste Forschungserbnisse stimmen auf jeden Fall sehr zuversichtlich.
Quellen:
https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/22462056/
Geheimnisse und Heilkräfte der Pflanzen (ISBN 371660026-1)
Eine wunderschöne Geschichte, so hat man im Leben immer Erinnerungen. Mir geht es so mit meinem Opa. Da ich jetzt selbst schon Oma bin versuche ich meinen Enkelkindern auch Erinnerungen zu schenken. Erinnerungen überdauern oft Zeit und Raum. Liebe Grüße Sabine
Danke dir 🙂 …ja ich glaube manche Erinnerungen werden von Generation zu Generation weitergegeben, wie der Zauber des Vergissmeinnicht… 🙂